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Die Herdplatte: Erfahrung schlägt Theorie
Häufiges Phänomen bei Diskussionen über Aktien: Irgendjemand kennt jemanden, der jemanden kennt, der schlechte Erfahrungen mit Aktien gemacht hat. Doch welche Umstände haben diese schlechten Erfahrungen begleitet? Und welche simplen Kapitalmarktregeln sollten Anleger berücksichtigen, damit sie mehr Freude mit der Anlage in Aktien haben?
Über Weihnachten fragte mich einst meine jüngste, damals etwa vierjährige Nichte: „Was ist heiß?“. Mein Blick glitt durch die Küche meines Bruders und meiner Schwägerin und blieb an dem Kochfeld des Induktionsherdes hängen. Ganz offensichtlich hatte der Nachwuchs noch nie das Pech gehabt, sich seine Finger an einer heißen Herdplatte verbrannt zu haben – und würde in absehbarer Zeit diese Chance auch nicht mehr bekommen. Insofern musste ich einsehen, dass ich statt mit praktischen Erfahrungswerten auftrumpfen zu können, einen theoretischen Einstieg für meine Antwort zu wählen hatte.
Wenn Blinde über Farbe sprechen
Der Volksmund hat in den vergangenen Jahrzehnten eine gesunde Skepsis gegenüber Theoretikern entwickelt. „Der spricht wie der Blinde von der Farbe“, ist dabei noch eine vergleichsweise milde, in Zeiten politischer Korrektheit aber vielleicht doch auch diskriminierende Formel. Ähnlich theoretisch wird es zuweilen, wenn Menschen sich auf die praktischen Erfahrungen Dritter berufen. In der eigenen Familie erlebte ich das, als meine Tante auf meinen Hinweis, Aktienanlagen wären langfristig die attraktivste Anlageform, anhob, dass eine Freundin ihr von einem Cousin berichtet habe, der mit Aktien schlimme Erfahrungen gemacht hätte.
Sicherlich ist es sinnvoll, Fehler nicht zu wiederholen – und das gilt nicht nur für die eigenen, sondern selbstverständlich auch für diejenigen Dritter. Aber es hilft, wenn man um die Begleitumstände des Fehlgriffs weiß – denn dann kann man diesen besser eingrenzen und die Gründe des Scheiterns einschätzen.
Die wichtigste Regel für Anleger
Im vorliegenden Fall förderte mein späteres Gespräch mit der Freundin zu Tage, dass besagter Cousin im Juni 2000, wie Millionen anderer deutscher Privatanleger auch, erstmals in seinem Leben Aktien erworben hatte und zwar aus der dritten Emission der Deutschen Telekom. Zwei Jahre später veräußerte der Cousin diese Position mit einem Kursverlust von rund 60% wieder. Nach dieser Erfahrung blieben es die einzigen Aktien, die dieser Cousin je erworben hat.
Ich konnte meiner Tante also erläutern, dass besagter Cousin gegen die wichtigsten Regeln einer erfolgsversprechenden Kapitalanlage verstoßen hatte, nämlich Aktienanlagen breit zu streuen und zudem auch noch als langfristige Beteiligung zu begreifen. Als ich ihr zudem nachwies, dass es seit dem zweiten Weltkrieg keine 15-jährige Anlageperiode mit Kursverlusten der breit gestreuten Aktienindizes gab und diese zudem eine Wertentwicklung von durchschnittlich 7% p. a. zu verzeichnen hatten, baute sie ihre Vorbehalte gegenüber Aktien deutlich ab.
Auch in meiner beruflichen Praxis erlebe ich es häufig, dass Kunden von schlechten Erfahrungen Dritter mit Kapitalanlagen berichten. Die Ursachen ähneln leider häufig dem oben skizzierten Fall: zu geringe Streuung und zu kurzer Anlagehorizont. Das Traurige ist, dass diese Anleger die Ursachen dieser schlechten Erfahrungen häufig nicht kritisch hinterfragen – und sich dann dauerhaft von Aktien- bzw. Kapitalanlagen fernhalten.
Insofern muss ich vielleicht dankbar sein, dass mein Bruder keinen Herd alter technischer Prägung mehr sein Eigen nennt. Denn möglicherweise würde meine Nichte sich nach entsprechend schmerzlichem Kontakt mit einer heißen Herdplatte als Erwachsene nur noch von kalt zubereiteten Gerichten ernähren. Was für eine Entsagung!
Ich wünsche Ihnen, dass Sie entsagungsfrei durch Ihr weiteres Leben kommen, und verbleibe mit herzlichen Grüßen aus Hamburg,